Besinnliche Weihnachten & Yule Fest

Spirituelle Bräuche für eine besinnliche Weihnachtszeit – für die ganze Familie


Schon länger mache ich mir Gedanken darüber, wie ich mehr Spiritualität und Achtsamkeit in die doch oft so stressige und konsumgesteuerte Weihnachtszeit einfließen lassen kann. Ganz auf das Fest verzichten möchte ich nicht, auch wenn ich vor Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten bin. Tatsächlich lebe ich nun mehr im göttlichen Vertrauen und Glauben als zu früheren Zeit, als ich noch regelmäßig jeden Sonntag die heilige Messe besucht habe. Doch das ist ein anderes Thema!

In diesem Artikel möchte ich mit euch meine Ideen zu einer besinnlicheren Adventszeit teilen. Ideen, die ich dieses Jahr voller Tatendrang ausprobieren möchte und gerne erweitere - und mich auch von euren Einfällen inspirieren lassen möchte. Schreibt mir gerne dazu!

Die kalte & dunkle Jahreszeit

Oft ist uns gar nicht bewusst, dass wir uns nun in einer Jahreszeit befinden, die viele Freuden im Inneren für uns bereithält. Die biologische Uhr ist verstellt und der morgendliche Wecker klingelt, lange bevor die Sonne aufgeht. Uns wird ein unnatürlicher Rhythmus aufgezwungen, der uns dazu verleitet, immer auf Abruf bereit zu sein, immer zu funktionieren. Doch die Winterzeit will uns mit ihrer Dunkelheit und Kälte verzaubern. Sie will uns nicht lästig sein. Wie es so oft empfunden wird. Auch ich erwische mich dabei, wenn ich jammere, dass es nun so früh dunkel wird. Doch wenn wir ehrlich sind, ist der Kerzenschein beim Abendessen etwas sehr Nährendes für die Seele und ich liebe es. Wärme, Knistern, der Duft von Zimt.

Die Dunkelheit im Außen will uns etwas lehren. Nämlich den Blick nach innen zu richten. Dem Trubel und der Hektik einmal den Rücken zuzukehren und ganz bei sich zu sein. Oder sich mal Zeit für seine Liebsten zu nehmen. Die Kälte lässt uns in die warm geheizten Stuben einkehren und uns zusammenrücken. Es ist eine Zeit der Herzenswärme, in der wir dankbar auf das Schauen können, was uns glücklich macht und uns gegeben ist.

Zudem schenkt die Dunkelheit uns eine Sicht auf das Wesentliche. Wir können nun leichter reflektieren, was uns guttut oder was uns aus der Balance bringt. Altes darf losgelassen werden, um Platz für Neues zu schaffen. Ganz Materiell oder auf geistiger Ebene. Wie der Glaube daran, immer perfekt sein zu müssen - ein altes Glaubensmuster, das es nicht mehr braucht. Wir dürfen nun auch mal langsamer werden, uns eine Tasse Tee und Ruhe gönnen. Schwäche muss nicht immer negativ bewertet werden. Es kann uns zeigen, dass die Überlast zu groß geworden ist und die Handbremse gezogen werden sollte. Der Körper erfährt im Winter seinen natürlichen Rückzug um Kraft für das neue Jahr zu schöpfen.

Aus dieser Dunkelheit und Kälte heraus können auch kreative Ideen entstehen. Ich lasse euch nun an meinen teilhaben:

Adventskranz & Yule – Vom Licht in die Dunkelheit

Dieses Jahr brennen die vier Adventskerzen bereits eine Woche vor dem ersten Advent. Ich ernte dafür schockierte Gesichter – was habe ich mir dabei gedacht?

Nach einem alten Brauch wurde das Jahreskreisfest Yule am 21. Dezember, dem kürzesten Tag und der längsten Nacht gefeiert. Unsere Vorfahren war diese/r Tag/Nacht heilig und sie begrüßten das Licht, das nach der Dunkelzeit wiedergeboren wird. Zudem leiteten die Feierlichkeiten die Rauhnächte ein, in denen besondere kraftvolle Meditationen, Erkenntnisse und Visionen möglich sind. Ich habe es bereits selbst erlebt und weiß wie kraftvoll diese Tage sind, wenn wir uns trauen, nach innen zu blicken.

Um diese besondere Zeit anzukündigen und auf das Yule-Fest vorzubereiten entzünde ich (im November) alle vier Kerzen auf einmal. Weil die Tage nun noch etwas mehr Helligkeit anbieten. An jedem Adventssonntag erlischt eine Kerze. Sie ist das Symbol für die fortschreitende Dunkelheit. Am letzten Adventssonntag erlischt die vierte Kerze und plötzlich ist es dunkel. Nun folgen (in der Regel) drei Tage Dunkelheit. (D.h. ich puste die letzte Kerze im Jahr 2024 bereits am Adventssamstag aus.)

In dieser Zeit kann sich in der Familie oder mit sich selbst ausgetauscht werden, was an alten Gewohnheiten, Mustern, Denkansetzen nicht mehr stimmig für einen selbst ist und was man ändern möchte. Eine Reflexion findet statt. Dann am dritten Tag - hierzulande am ‚Heiligen Abend‘ (24. Dezember) - wird eine neue, besondere Kerze entzündet – zusätzlich zu den vier Adventskerzen. Diese steht für das Licht, das aus der Dunkelheit neu geboren wird und für die Tage, die allmählich länger werden. Sie ist ein Symbol für das neue Licht, das in uns brennt und uns hilft loszulassen. Für den Funken Magie in uns. Für das Leben selbst.

Eine besinnliche Vorweihnachtszeit schaffen

  • Geschichten erzählen

Wenn eine Kerze auf dem Adventskranz erlischt, können Lieder zusammengesungen werden, es kann geräuchert werden und zusammen gegessen werden. Eine neue Tradition, die ich gerade einführe und großen Gefallen bei meinen Kindern findet, ist das Geschichtenerzählen.

Wer liebt es nicht in Märchen oder andere Welten abzutauchen und sich in verschiedene Charaktere hineinzuversetzen? Geschichten lehren oft einen tiefen, spirituellen Kern, den es nur zu entdecken gilt. Es wird also ein Text, eine Geschichte ausgesucht – möglichst nicht zu lange – und einer liest diesen Text vor. Jeden Adventssonntag eine andere. Wer eine Geschichte frei heraus erzählen kann, ist dazu herzlich eingehalten. Auch das ist eine alte Tradition, die früher sehr geschätzt wurde.

Nun ist es still und es wird zugehört – natürlich bei gemütlichem Kerzenschein und vielleicht bei ein paar Plätzchen. Dann wird sich über die Geschichte ausgetauscht. Was haben wir gerade erfahren? Gibt es eine Lehre? Kann ich etwas für mich aus dieser Geschichte herausziehen?

Es kann durchaus spannend sein, zu erfahren wie unterschiedlich die Geschichten aufgefasst werden und was sie in dem Einzelnen bewegen. Wo der eine die böse Hexe sieht, erkennt ein anderer einen Anteil des inneren Selbst, der einem zur Transformation verhilft. Natürlich könnt ihr es je nach Alter der Kinder auch sehr einfach halten. Wichtig sind das Zusammenkommen, der Austausch und das Erkennen von einer Tiefe in den Texten.

Unterhalb des Artikels habe ich euch ein paar Beispiel-Geschichten, die ich vorlese, aufgeschrieben (s. ganz unten!). Lasst euch gerne inspirieren! Oder schlag mir eure Lieblingsgeschichte vor!

  • Die Philosophie von Worten

Statt sich Geschichten vorzulesen kann auch über die Bedeutung von Worten nachgedacht werden. Im Kreise der Familie oder auch mit sich selbst. Diese Methode eignet sich gut für ältere Kinder und Erwachsene.

Pickt euch dafür ein Wort heraus und sprecht offen darüber. Jeder darf zu Wort kommen und jeder darf aussprechen, was er denkt. Ein Raum voller Respekt für das Gegenüber wird geschaffen. Stellt euch selbst ein paar Fragen dazu! Ein Beispiel hierfür wäre das Wort Achtsamkeit.

Fragen: Was bedeutet Achtsamkeit für mich? Was bedeutet es in Zusammenhang mit anderen Menschen? Wie beziehst du es auf den Umgang mit dir selbst? Was bedeutet es in Zusammenhang mit Tieren, der Natur, deinem Zuhause, Arbeitsplatz, usw.? Was verbindest du mit dem Wort?

Die Antworten können dabei ganz unterschiedlich sein. Simpel oder kompliziert. Bewertend oder neutral. Jeder empfindet es anders und alles darf so sein und auch so stehen bleiben. Andere Meinungen werden respektiert und ein Raum für ein liebevolles Miteinandersein wird geschaffen.

Hier habe ich euch mal beispielhaft eine Liste solcher Wörter erstellt. Viel Spaß beim Austauschen und Grübeln!

  • Achtsamkeit
  • Glück
  • Selbstwert
  • Positiv
  • Negativ
  • Stärke
  • Schwäche
  • Zeit
  • Erwartungen
  • Perfekt
  • Geist
  • Ego
  • Erfolg
  • Weihnachten
  • Freiheit
  • Dankbarkeit
  • Lebensenergie
  • Mut
  • Grenzen
  • Ganz sein
  • Wertvoll
  • Schatten
  • Ängste
  • Erfüllung
  • Weisheit

Dankbarkeitsritual

Oft sind wir selten dankbar für das, was uns gegeben ist. Für einen geschützten Ort, den wir unser Heim nennen. Für den Kreis unserer Lieblingsmenschen, die uns unterstützen, wenn wir nach Hilfe verlangen. Für den Frieden in unserem Land, während woanders Krieg herrscht. Für das saubere Wasser, das wir zum Trinken haben. Für die Gesundheit oder kleinere Wehwehchen, die uns begleiten während andere gegen unheilbare Krankheiten kämpfen. Es gibt so vieles, für das jeder dankbar sein kann und wenn es nur der Atem ist, der uns jede Sekunde mit nährendem Sauerstoff versorgt.

Das Yule-Fest und die Adventszeit sind eine gute Gelegenheit dieser Dankbarkeit einmal Ausdruck zu verleihen. Dazu möchte ich dieses Jahr einige Dankbarkeitssterne mit meinen Kindern basteln. Ganz einfache aus buntem Papier oder Pappe. Dafür braucht es keine besonderen künstlerischen Fertigkeiten. Natürlich können diese auch individuell verschönert werden. Jeder wie er möchte!

An den Adventssonntagen oder direkt am Yule-Fest kann sich jeder für ein besonderes Ritual einen Stern schnappen und sich Gedanken darüber machen, wofür er dankbar ist. Es kann nur ein Wort sein, oder gleich mehrere. Vielleicht sogar ein Satz. Dies schreiben wir dann auf unseren Stern und freuen uns, in Verbundenheit mit unseren Liebsten, über die Fülle an Dankbarkeit.

Die Sterne können nun mit einer kleinen Holzwäscheklammer an einer Schnur aufgehängt werden oder an Türen und Wände festgeklebt werden, so dass sie gut zu sehen sind. Die Dankbarkeitssterne erinnern uns an das Glück, das wir haben und schärfen den Blick für das Positive in unserem Leben. Oft verlieren wir dieses aus dem Fokus und beschäftigen uns ausnahmslos mit dem, was gerade nicht rund läuft. Also, lasst uns sehen, was uns bereits jetzt erfüllt!!!

Gerade für Kinder ist dies ein sehr schönes Ritual. Wer möchte kann es natürlich an jedem Sonntag vor dem Jule-Fest wiederholen und sammelt so eine schöne Anzahl an Sternen für eine beachtliche Girlande, die nur so von Glück und Dankbarkeit strahlt. Ein Sternenmeer in der Dunkelheit!

Kerzenschein – Meditation

In der Dunkelheit entzünden wir gerne Kerzen. Warum also mal nicht die Sinne schärfen, in dem ich bewusst in die Flamme schaue. Alles um mich herum vergesse und eins mit dem Feuer werde. Das Flackern zieht uns Menschen geradezu magisch an und auch ich kann oft stundenlang am Lagerfeuer sitzen und in die lodernde Mitte schaue.

Versuche einmal so lange als möglich in das Feuer zu starren, ohne dabei zu blinzeln. Wie lange gelingt es dir? Spürst du auch schon die Tränen, die an deinen Wangen herablaufen, weil du so lange als möglich diesen natürlichen Reflex zu Blinzen hinauszögerst? Teste es mal!

Und dann: Schließe die Augenlider und lass dich auf die Dunkelheit in dir ein. Sieh mal nach innen, was für Bilder sich plötzlich vor deinem geistigen Auge zeigen. Die Überreizung der Augen kann uns tatsächlich öffnen, nicht wie gewohnt mit ihnen nach Außen zu sehen, sondern den Blick nach Innen zu stärken.

Diese kleine Feuermeditation kann auch innerhalb der Familie stattfinden, indem wir uns am Tisch versammeln und gemeinsam unsere Kerzen entzünden.

Weihnachtswunder teilen

Mir ist es ein Anliegen, diese besinnliche Zeit mit all ihrer Selbstreflexion und Dunkelheit nicht allein verbringen zu müssen. Lasst uns unsere Dankbarkeit für das Leben mit Anderen teilen. Schaut euch in eurer Gegend um! Gibt es Obdachlosenunterkünfte, Altenheime, Flüchtlingsunterkünfte und andere soziale Einrichtungen, in denen es Menschen gibt, die sich in dieser besinnlichen Zeit allein fühlen? Sprecht die Menschen vor Ort an! Bringt vielleicht Plätzchen und Punsch mit oder was ihr sonst entbehren könnt. Oder bietet euch für einen Spielenachmittag oder eine Vorlesestunde an. Vielleicht kennt ihr auch einen Menschen, der Heilig Abend allein verbringt. Ladet ihn zu euch ein.

Das Glück verdoppelt sich, wenn man bereit ist, es zu teilen. Und ich verspreche euch, die Freude, die ihr verschenkt, ist ansteckend und ihr habt mindestens genauso viel Spaß dabei.

Waldweihnacht

Was auch ein besonders schöner Brauch ist und noch von manch einem hierzulande praktiziert wird, ist die #Waldweihnacht. Denn auch unsere Tiere spüren die Dunkelheit und die Kälte, die im Dezember herrscht und ihr Essensangebot radikal dezimiert. Ich gehe gerne an Yule mit meinen Kindern in den Wald und suche mir eine geschützte Stätte. Ideal sind Futtergrippen in deren Nähe sich kein Jägerssitz befindet. Dort häufe ich Heu, Nüsse, Äpfel usw. an. Wir singen dabei Lieder und laden die Waldtiere ein, sich an dem gedeckten Tisch satt zu essen. Vogelfutter hängen wir in die Bäume. Und manchmal auch selbstgebastelte Anhänger aus getrockneten Orangen-/Zitronen-/Apfelscheiben, Hagebutten und Filzwolle. Alles, was vergeht, kann an einer Baumwollschnur aufgehangen werden und es wird gar festlich im Wald der Tiere.

Meine Kinder und ich lieben diesen Brauch und wir kommen jedes Jahr zu einer Stelle im Wald, wo mein verstorbener Opa eine Krippe aufgebaut hat. Dabei denken wir an ihn und spüren seine Anwesenheit. Denn auch die Ahnen wollen bei den Festlichkeiten gerne bei uns sein.

Wenn du auf der Suche nach einem Ritual bist, dass dich mehr mit den Ahnen verbindet und sich gut für Feste eignet, dann empfehle ich dir meine Beschreibung für ein Despacho - Ein Ritual aus Peru.

Abschluss & Anregung

Ich hoffe ich konnte euch ein wenig für eure ganz eigene, individuelle Weihnachtszeitgestaltung inspirieren. Schreibt mir gerne, wenn ihr das ein oder andere für euch ausprobiert! Und schickt mir sehr gerne eure Ideen für eine Weihnacht voller spiritueller Begegnungen und Wunder! Wenn es kleine Rituale gibt, die ihr ausübt, dann lasst es mich sehr gerne wissen! Ich bin sehr neugierig und ich freue mich über jeden Brief und jede Anregung!

 

PS: Wenn du dir Gedanken über deinen Weihnachtsbaum und einem achtsameren Umgang in dieser Thematik wünscht, habe ich da eine Idee für dich: Upcycling Weihnachtsbaum

-  Geschichtensammlung für eine besinnliche Weihnachtszeit - 

Wie die Sonne in das Land Malon kam – von Christiane Mühlberger

Malon – so heißt das Land, von dem ich dir heute erzählen will. Es liegt hinter sehr hohen Bergen versteckt. Die Sonne stieg niemals über die Bergspitzen. So war es dort immer dunkel, immer Nacht. Die Malonen aber, so hießen die Einwohner dieses Landes, trugen stets Windlichter mit sich herum. So hatten sie wenigstens ein bisschen Helligkeit in ihrer Finsternis. Insgesamt waren die Malonen schon sehr eigenartige Leute. Jeder von ihnen wohnte ganz allein in einem Haus und jedes Haus war von einer hohen Mauer umgeben. Keiner mochte den anderen leiden, keiner war mit dem anderen befreundet. Jeder misstraute dem Nächsten und war ihm neidisch. Du merkst es schon: auch innerlich herrschte bei den Malonen die Dunkelheit und vergiftete alles.

 

Eines Tages kam ein Wanderer nach Malon. Das überraschte, ja verwunderte die Malonen sehr, denn sie konnten sich nicht erinnern, dass jemals ein Fremder zu ihnen gekommen war. Der Wanderer war auch sehr erstaunt über die merkwürdigen Leute und das komische Land, in dem keine Sonne schien und jeder Tag stockfinster war. Er fragte: „Wo ist die Sonne?“ Darauf ein Malone: „Was ist das, Sonne?“ Alle riefen: „Sonne? Haben wir noch nie gehört oder gesehen!“ Da meldete sich ein uralter Malone nachdenklich zu Wort: „Ist das nicht das große Windlicht, die große Himmelslampe?“ Der Wanderer konnte es nicht glauben und fing an zu erzählen: „Ja, ja genau! Das ist die Sonne! Jeden Morgen steigt sie leuchtend am Himmel auf. Ihre wärmenden Strahlen wecken die Vögel in den Nestern. Singend begrüßen sie den neuen Tag, das helle Licht. In der Sonne öffnen sich die Knospen und Blüten der Sträucher und Bäume. Die Blüten lassen ihren süßen Duft verströmen und die Sonne lockt das saftigste Grün aus dem Gras, das gierig aus dem Boden wächst. Die Menschen blühen auf und fühlen die Sonne auf ihrer Haut. Sie springen voll Freude im Freien herum und haben eine gesunde Bräune im Gesicht. Das ist so wunderschön!“ Die Malonen, stellt euch vor, kamen staunend aus ihren kalten Häusern mit den hohen Mauern heraus und setzten sich dicht gedrängt um den Tisch, an dem der Wanderer saß und die schönsten Geschichten von der Sonne erzählte, so dass sein Gesicht wunderschön strahlte und leuchtete. Jeder wollte ihm nahe sein und seine Wärme, die von ihm ausging, spüren. Sie bauten sogar ein Haus, ein Versammlungshaus, damit sie den herrlichen Geschichten Tag und Nacht lauschen konnten. Sie bekamen ein Verlangen, eine Sehnsucht nach Helligkeit, nach Wärme, nach Licht und Sonne. Aber es blieb dunkel.

 

Es kam der Tag, da wollte der Wanderer wieder weiterziehen, denn er war lange genug in Malon gewesen. Er meinte: „Wisst ihr, wenn man von der Sonne erzählt, muss man sie immer wieder mal sehen, sonst wird ihr Bild in einem ganz schwach… es verblasst.“ Die Malonen waren sehr traurig, doch konnten sie den Wanderer nicht aufhalten. Wer sollte ihnen nun von der wunderbaren Sonne erzählen? Was sollten sie überhaupt jetzt tun? Sollten sie wieder in ihre kalten Häuser zurückgehen? Sollte sich jeder wieder hinter den hohen Mauern verstecken? NEIN! Das wollten sie ganz bestimmt nicht mehr! Sie spürten ein inneres Feuer, das alles ändern sollte. Sie wollten nicht mehr einsam sein. Sie wollten weiter miteinander reden und essen, lachen und helfen. Das fühlte sich so viel schöner an! Außerdem gaben die vielen Windlichter jedes einzelnen Malonen mehr Licht und Wärme als nur Eines. So blieben sie beisammen und lebten miteinander. Jeden Morgen riefen sie gemeinsam nach der Sonne, dem Licht des Lebens und waren fröhlich zusammen bei allem, was sie taten.

Sonne, liebe Sonne fein, komm mit deinem Sonnenschein, komm in unser Haus hinein, Sonne, liebe Sonne!

Da passierte eines Tages ein Wunder: es wurde hell und heller in ihrem Haus und sie sahen zum ersten Mal die leuchtende Sonne hinter den Bergen aufsteigen. Zunächst rot wie eine Blutorange, dann zitronengelb und als sie schließlich ganz hoch am Himmel stand, glänzte sie wie pures Gold. Die Leute riefen vor Glück alle wild durcheinander: „Schaut, da! Das muss sie sein! Das ist unsere Sonne! Das Licht auf das wir so lange warteten.“ Die Malonen streckten ihre Arme und Hände der Sonne entgegen. Sie sangen und tanzten voll Freude, da es endlich auch bei ihnen hell geworden war.

Der furchtlose Junge – Legende aus Afrika

Ein Mann hatte fünf Söhne. Eines Tages befiel ihn eine Augenkrankheit, die er selbst nicht heilen konnte. Da sprachen die Söhne zu ihrem Vater: »Es gibt einen Arzt, der dir helfen kann. Sein Name ist Riesenschlange.« Der Vater bat seine Söhne, diesen Arzt herbeizurufen.

 

Der Älteste machte sich auf den Weg und war bald an der Wohnung der Riesenschlange angekommen. Dort rief er: »Riesenschlange, komm heraus. Wir bitten dich, uns zu helfen.« Doch als die Schlange heraus kroch, überkam den Jungen große Angst, und er rannte davon. Auch die anderen Söhne hatten nicht den Mut, die Schlange zum Vater zu bringen. Erst als die Reihe an den Jüngsten kam, konnte dem Kranken geholfen werden. Der Kleine trug die Schlange, die sich vom Kopf bis zum Unterleib um ihn gewickelt hatte, zu seinem Vater. Dort wand sie sich um den Kranken, leckte ihm die Augen, und es dauerte nicht lange, bis der Vater gesund wurde. Zum Dank schenkte der Vater seinem Retter zwei Rinder, und dem jüngsten Sohn versprach er die Häuptlingswürde. Die anderen Söhne gingen leer aus, weil sie sich gefürchtet hatten. Die Riesenschlange bat nun den Jüngsten, sie wieder nach Hause zu bringen. Dort schenkte die Schlange dem Jungen Rinder, Ziegen und Kostbarkeiten. Reich belohnt kehrte er nach Hause zurück.

Der kleine Kolibri - Märchen der indigenen Völker Südamerikas, Fassung Aila Weisshaupt

Es war einmal ein kleiner Vogel. Er war ein Kolibri. Der Vogel hatte helle Augen und ein
wunderbar buntes Gefieder. Er lebte in einem großen Wald. Der Wald war so alt, dass man nicht mehr weiß, wann der erste Baum gewachsen war. Seit man sich Geschichten erzählt, war er da, dieser Wald, in dem der kleine Vogel zu Hause war. Sein Nest lag auf den Zweigen eines
Baumes. Der Baum, auf dem der Kolibri wohnte, stand schon sehr lange in diesem Wald. Sein
Stamm war dick und furchig von all dem, was er erlebt hatte. Seine Krone und seine Blätter
reichten weit in den Himmel hinein und spannten sich breit über den Boden. Mit diesem Baum
lebte der Kolibri zusammen. Sie waren Freunde, der große Baum und der kleine Vogel und oft
erzählten sie einander Geschichten. Manchmal erzählte der Baum und manchmal erzählte der
Kolibri: Der Baum erzählte von früher, von Baumweisheiten und dem Großen. Der Vogel
erzählte vom Fliegen, von Vogelweisheiten und dem Kleinen. Beide waren ganz glücklich,
einander zu haben, zu erzählen und zuzuhören.
An einem Tag, als der Kolibri auf den Zweigen des Baumes saß und von der Weite erzählte,
reckte er plötzlich seinen Schnabel in die Höhe. Etwas roch anders. Es roch nach Wärme, nach
braunem Holz und nach Harz - Es roch nach Rauch. Sofort sagte der kleine Freund dem großen
Bescheid. „Baum“, sagte der Kolibri, „ich rieche Rauch in der Luft. Woher das wohl kommt?“
Besorgt flog der kleine Vogel hoch über den Wald. Immer höher und höher stieg er, um den
Grund für den neuen Geruch zu erkennen. Als er so hochgeflogen war, dass die Sonne auf
seinen bunten Federn in allen Farben glitzerte, sah er in der Ferne ein Feuer. Der Wald brannte
und das Feuer kam geradewegs in jene Richtung, in der die beiden Freunde lebten. Es kam
näher.
So schnell ihn seine Flügel trugen, flog der Kolibri zu seinem Freund zurück. Schon von Weitem
rief er dem Baum zu: “Du, Baum, der Wald brennt!“. Der Baum erwiderte: “Ja, wenn das so ist,
dann musst du weg, kleiner Kolibri. Flieg fort und rette dein Leben.“ Verständnislos rief der kleine Vogel zurück: “Ja und du?“. Der Baum fühlte seine Wurzeln, die Weit reichten, seinen Stamm der ruhig in den Himmel reichte. Er fühlte seine Verbundenheit und sagte:“ Ich bleibe hier!“
„Das geht nicht!“, rief der Kolibri zurück, „ich will dir helfen!“ und obwohl der Baum keine
Anstalten machte, sich zu bewegen, fest verwurzelt und gelassen da stand, überlegte der Kolibri
fieberhaft, was er tun könnte, um seinem Freund zu helfen. Ganz leuchtend wurden seine Augen
und funkelnd sein Gefieder vor lauter Anstrengung, eine Lösung zu finden. Plötzlich kam ihm
eine Idee. „Jetzt weiß ich es!“, rief er dem Baum zu. Voller Entschlossenheit spannte er seine
kleinen Flügel erneut zum Flug aus - flog weg von seinem Freund zum Fluss. Dort sah er viele
Tiere, die über den Fluss schwammen, um ihr Leben zu retten. Er sah aber auch viele Tiere, die
aufgeregt am Ufer hin und her rannten, weil auch sie hinüber wollten, es aber nicht konnten.
Der kleine Vogel war entschlossen. Der Ruf seines Herzens klar und deutlich. Bis in die letzte
Federspitze fühlte er die Kraft seiner Überzeugung und so stieß er hinab zum Fluss und glitt der
Wasseroberfläche entlang. Er fühlte den Wind in den Federn und das klare Wasser an seinem
Bauch, wie kleine kühle Perlen. So viel Wasser als nur möglich füllte der Kolibri nun in seinen
Schnabel, flog erneut hinauf – weg vom Fluss, dem Feuer entgegen. Er fühlte die Kraft des
Feuers. Die Wärme sickerte durch seine Federn. Heißer und heißer wurde es. Doch er flog
weiter in diese rote Welt hinein. Als er beinahe glaubte, nun selbst Feuer geworden zu sein, spie
er das Wasser in die Flammen.
Wie der Baum dies sah, rief er: „Kolibri, was machst du da?“ Das nützt doch nichts! Das Feuer ist
groß und dein Schnabel klein!“ Doch der kleine Vogel hörte nicht hin. Immer wieder flog er zum
Fluss und dann zurück zum Feuer. Immer wieder füllte er seinen kleinen Schnabel mit Wasser,
um es in das große Feuer zu speien. Hin und her - Hin und her flog der Kolibri.
Zu dieser Zeit, als der kleine Kolibri seinen Freund zu retten versuchte, fest dem Ruf seines
Herzens folgte, schaute Gott gerade auf die Erde. Weil Gott alles sieht, sah er auch, dass da ein
Wald brennt. Er sah, wie sich das Grün des Waldes mit dem Rot der Flammen mischte Er hörte
wie Holz knackte und Flammen knisterten. Er sah und hörte und dachte sich: „So ist es bei einem
Waldbrand. Altes geht und Neues kommt.“ Gott sah und hörte weiter hin. Er lauschte den
Klängen und den Farben des Vergehens und Werdens und allmählich hörte er auch etwas
anderes. Er hörte das stetige, unermüdliche Auf- und Abschlagen winziger Flügel. Er erhorchte
eine innere Überzeugung. Überrascht über seine Entdeckung folgte er dem Geräusch mit den
Augen und fand den kleinen Kolibri, unermüdlich hin und her fliegend, seinen kleinen Schnabel
füllend und Wasser speiend - dem Feuer entgegen. Nachdenklich schüttelte Gott den Kopf. „Was
macht dieser kleine Kolibri da?“, fragte er sich.
„Was machst du da?“, flüsterte so Gott dem kleinen Kolibri ins Ohr, „das nützt doch nichts!“ Der
kleine Kolibri hörte die Stimme in seinem Ohr und antwortete mit der Überzeugung eines kleinen Vogels: „Ich mache das, was ich kann, mit dem was ich habe!“
Gott hörte die Antwort. Wie die Wärme des Feuers in das Gefieder des Kolibris sickerte, sickerte
die Antwort des kleinen Vogels in sein Herz. Sie breitete sich wärmend aus und berührte es,
machte es ganz offen und weit. Vom Herz erreichten die Worte des Kolibris die Augen von Gott.
Tränen rannen ihm über die Wangen, tropften vom Himmel auf die Erde und auf das Feuer.
Tropfen für Tropfen und Tränen für Tränen rannen zum Feuer und löschten es nach und nach,
bis schließlich nur noch ein geheimnisvoller Dunst über dem alten Wald lag.
Am nächsten Morgen, als die Sonne über dem großen alten Wald aufging, verging der Dunst.
An diesem Morgen hielt Gott nach dem Kleinen Ausschau. Nach einer Weile sah er in Mitten
eines großen Baumes, schillernde Farben, leuchtende Federn, die das Licht der Sonne
auffingen. An diesem Tag lauschte und horchte er den Geschichten, die sich zwei Freunde
erzählten.

Kathi und der Holzstoß - von Richard Weigerstorfer

Kathi spielte an den großen Holzstößen am Abhang. Es war eine Unternehmung auf eigene Faust und das Spiel am Winterholz gegen den Willen der Eltern. Das Dorf, in dem sie lebte, war abseits der großen Städte, und die Bewohner pflegten eine eigene Denkweise, die von vielen nicht nachvollzogen werden konnte. Alle im Dorf waren glücklich, und die besten Handwerker und die tüchtigsten Frauen stammten aus gerade diesem Dorf.

 

Kathi turnte auf den Stämmen, dabei muss sich eine Sperre gelockert haben, und alle Stämme fingen an zu rollen. Im letzten Augenblick konnte sie noch zur Seite springen und stand nun da und musste zuschauen, wie der ganze Holzvorrat für den Winter den Hang hinunter polterte und unten in den reißenden Strom fiel, ein Stamm nach dem anderen. Es wurde ihr sofort klar, dass die kurze Zeit bis zum Winter nie reichen würde, um wieder ausreichend Holz für alle zu schlagen. Diesen Winter müssten sie alle frieren, vielleicht sogar erfrieren.

Kathi lief weg und versteckte sich. Sie wollte nie mehr nach Hause gehen. Ständig machte sie sich die größten Vorwürfe, dass sie trotz des Verbotes dort spielte. Selbst hätte sie auch schon so gescheit sein müssen und….

Es war schon dunkel, als sie sich nun doch noch entschloss, heimzugehen und alles zu beichten. Wie sie sich dem Dorf näherte, sah sie schon von weitem, dass eine große Runde um ein Feuer saß und schweigend wartete. Ihr fiel das Herz in die Hosentasche, aber sie ging mutig weiter. Als man sie wahrnahm, erhob sich der Älteste der Runde und ging auf sie zu, umarmte sie und hielt sie eine Zeit schweigend fest in seinen Armen, dann sprach er:

„Ich liebe dich und ich bitte dich,

                                   liebe auch du dich selbst.

Ich verzeihe dir und ich bitte dich,

                                   verzeihe auch du dir selbst.

Ich segne dich und ich bitte dich,

                                   segne auch du dich selbst.“

Während er diese drei Sätze sagte, schaute er ihr fest in die Augen. Dann ließ er sie los und ging zurück zur Runde. Von da kam schon der Zweitälteste auf sie zu, umarmte sie ebenfalls und sagte zu ihr

„Ich liebe dich und ich bitte dich,

                                   liebe auch du dich selbst.

Ich verzeihe dir und ich bitte dich,

                                   verzeihe auch du dir selbst.

Ich segne dich und ich bitte dich,

                                   segne auch du dich selbst.“

So ging es weiter, bis alle vierunddreißig Erwachsenen bei ihr waren. Dann wurde sie in die Runde der Erwachsenen gebeten. Es war das erste Mal, dass sie in dieser Runde sein durfte. Sie musste ganz genau erzählen, wie es sich zugetragen hatte. Dann wurde beraten.

Es wurde darüber gesprochen, dass es ein Fehler war, das Holz so dicht am Abhang zu lagern, dass die Zeit bis zum Wintereinbruch viel zu kurz sei, um neues Holz zu machen. Dann wurde beschlossen, dass dieses Jahr sich alle auf das Haupthaus beschränken, worin auch alle schlafen sollten. Die Absicht, für die sieben Häuser der sieben Familien alle Holz zu machen, wurde vollkommen aufgegeben.

Auch wurde immer wieder nach dem Geschenk gefragt, das wohl in diesem Vorfall versteckt sei, andere sagten, was die gute Seite an diesem Unglück wohl sein möge. Kathi hörte das wohl, konnte damit aber nichts anfangen. Sie war fürs erste froh, dass sie nicht geschimpft wurde.

Sie konnte sogar das Verzeihen der anderen annehmen und glauben, hatte es doch jeder Einzelne zu ihr gesagt: „Ich verzeihe dir“, und jeder hatte es aus ganz aufrichtigem Herzen zu ihr gesagt, aber der zweite Teil: „ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst“, das fiel ihr so schwer, sie konnte es nicht; immer wieder machte sie sich Vorwürfe.

Es war einige Zeit seit dem Vorfall vergangen, der Winter kam früher als erwartet, und die großen Schneemassen hatten alles unter sich begraben. Der Holzvorrat war so knapp, dass er nur reichte, wenn ganz sparsam damit umgegangen würde. Aber dieser Mangel war nirgends zu spüren. Alle lebten im Gemeinschaftshaus, und die Körper der Leute heizten mit, so dass auch bei kleinem Feuer eine angenehme Temperatur herrschte. So einen schönen, lustigen Winter hatte es noch nie gegeben. Es wurde viel miteinander gesungen, gespielt, Geschichten erzählt und gelacht. Alle waren glücklich und immer wieder konnte man hören: „Gut, dass Kathi das Holz ins Wasser rollen ließ.“

Immer und immer wieder wurde dieser Umstand ganz besonders erwähnt, und das gab ihr mit der Zeit die Kraft, dass sie ihre Selbstvorwürfe aufgeben konnte. Sie sah und erlebte es, es war der schönste Winter ihres Lebens. Wäre das Holz nicht vernichtet worden, so hätten sie, wie all die Jahre vorher, getrennt, jede Familie in ihrem eigenen Häuschen eingeschneit diese lange Zeit mit Handarbeiten verbringen müssen. Wie herrlich ist doch eine so große Gemeinschaft.

Als sie alle Selbstvorwürfe aufgeben konnte, fing sie auch an zu begreifen, was mit dem Geschenk in dem Unglücksfall gemeint war. Es war wirklich ein Geschenk, denn die Gemeinschaft hatte beschlossen, dass auch im nächsten Winter wieder alle im Gemeinschaftshaus leben sollten, dadurch würden nicht nur die Winter schöner und kurzweiliger, sondern die Zeit konnte auch gut genutzt werden, um die Kleinen in die verschiedensten Handwerkstechniken einzuführen. Von den Männern wurde besonders freudig herausgestellt, dass sich die Zeit um das Winterholz zu schlagen verkürzt. Statt vier Monate sind es nur noch drei Wochen. Sie sparen sich neun Wochen schwerste Waldarbeit – dank Kathi.

 

Seit dem (Un)Glückstag durfte Kathi bei den Beratungen der Erwachsenen teilnehmen. Es gab immer wieder Situationen, in denen in der Gemeinschaft etwas geschah, was auf den ersten Blick furchtbar erschienen war. Die Erfahrung und Denkweise der Gemeinschaft war, dass überall ein Geschenk enthalten ist. Davon ist nun auch Kathi überzeugt.

Meistens waren es junge Mitglieder der Gemeinschaft, denen ein Missgeschick widerfuhr. Wenn sie dann an der Reihe war, den Betroffenen zu umarmen, dann konnte sie aus innerster Überzeugung, mit ruhiger, fester Stimme sagen: „Ich verzeihe dir und ich bitte dich, verzeihe auch du dir selbst.“