Trauma -Verdrängung 

Sexueller Missbrauch und  erlebte Übergriffigkeit aus der Kindheit


Oft verdrängen wir ertragenes Leid. Sogar so stark, dass wir es nicht mehr als Teil unseres Lebens betrachten können und glauben, es wäre niemals passiert. Gleich einem abgespaltenen, unliebsamen Relikt, das nicht mehr zu uns gehört, aber dennoch existiert.

 

So erging es mir und ich erinnerte mich tatsächlich nicht mehr an die vergangenen Traumata. Als wäre ich damals aus meinem Körper geschlüpft, um nicht anwesend sein zu müssen, als ich schlimmste Gewalt, Erniedrigung und Verrat erfuhr. Ich war noch ein Kind und es war ein reiner Selbstschutz-Mechanismus, der mich davor bewahrte in die erbarmungslosen Augen der Realität zu blicken. Ich verdrängte rigoros.

 - Heute kann ich reflektieren und verstehen. -

 

Wenn auch du dich an einem Punkt in deinem Leben befindest, an dem du das Gefühl bekommst, irgendetwas scheint nicht ganz rund in deiner Kindheit gelaufen zu sein oder gar seltsame Erinnerungsfetzen steigen in dir auf, dann kann ich dir nur den Rat geben:

Erinnere dich!

 

Für mich war es immens wichtig, zuerst Klarheit darüber zu erlangen, was ich all die Jahre verdrängt hatte. Womit ich mich selbst belog und warum. Das Warum war schnell beantwortet. Zweifellos um eine schützende Mauer aufzubauen. Eine Mauer, die mir nicht mehr gut tat. Jetzt war die Zeit gekommen, um sie einzureißen.

Das Erinnern an sich schaffte Mut, Raum für Annahme und schob die quälenden Selbstzweifel hinfort. Vielleicht können auch dir alte Tagebucheinträge dabei helfen oder ein Gespräch mit Angehörigen, die sich möglicherweise zurückentsinnen – so wie es mich auf den Weg der Erkenntnis brachte. Unglaublich wichtig und unterstützend für mich und meinen inneren Prozess war, mir selbst zu vertrauen und dem stichelnden Verdacht sexuell missbraucht worden zu sein konsequent nachzugehen.

Endlich kamen vergrabene Gefühle und Erinnerungen in mir hoch. Es war da, es war die Wahrheit und ich verschwieg sie nicht mehr. Meine Kindheit war scheiße und gar nicht bildbuchmäßig wie ich für eine so lange Zeitspanne geglaubt hatte. Schuld war mein perfekter Verdrängungsmechanismus, den es endlich zu knacken galt.

Wenn ich so weiter wie bisher gelebt hätte, dann wäre ich mit all meinen Macken und Verkrampfungen, die aus dem erlebten Trauma geschaffen wurden, wohl irgendwann wahnsinnig geworden. Vermutlich hätte ich meine Ehe hingeschmissen und würde mich immer noch als missraten, beziehungsunfähig und irgendwie falsch in meiner Haut fühlen. Daher halte ich es für fundamental, sich unbedingt an zugefügtes, vergangenes Leid zu erinnern. Aber nicht es genauso wie damals wieder durchleben zu müssen!

 

In meinen Albträumen spürte ich, wie die Angst von früher meine Kehle heraufkletterte und mich einengte. Für meine eigene Transformation erkannte ich, dass dieses Gefühl für eine kurze Dauer völlig in Ordnung war und seine Berechtigung hatte. In der Vergangenheit hatte ich meine Ängste mehr oder weniger erfolgreich weggedrückt, eingekerkert in meiner Seele, die nun keine Ruhe mehr geben wollte. Es war nun an der Zeit, diese furchtbare Emotion zu fühlen, sie bewusst nicht wegzudrücken. Danach aber freizugeben und nicht darin zu verharren. Denn das wusste ich, könnte unter Umständen zu einer ausgewachsenen Depression führen.

 

Jetzt da ich bereit war, spürte ich immer wieder wie Panik, Ekel, Hass oder Wut aus Kindheitstagen während scheinbar harmloser Alltagssituationen in mir aufstiegen und mich völlig in Besitz nahmen. Sie wollten nicht mehr fortgescheucht werden, sie wollten endlich gefühlt werden – für einen gesunden Moment lang.

 

 

Erlaube dir dich selbst zu fühlen

Es gab eine einfache und sehr effektive Methode, die ich für mich erforscht hatte, um solchen verdrängten Emotionen zu begegnen. Wenn ein derartiges Gefühl mich überkam, suchte ich einen ruhigen Ort auf, setzte mich und schloss die Augen. Meine Füße berührten den Boden und gaben mir Halt. Durch einen kontrollierten Atem und eine Besinnung allein auf mich und meinen Körper, spürte ich in mich hinein und horchte. Oft stiegen die Verzweiflung, die Wut und der Hass abermals in einer ungeahnten Wucht in mir hoch und ich war bereit dafür. Wenn ich wollte, dann schrie ich oder ich schluchzte wie ein tobendes Kleinkind. Was raus wollte, sollte endlich raus, damit es mich nicht weiter kontrollieren konnte und schmerzhafte Reizpunkte für mich hinterließ.

Ich fühlte den Schmerz in mir und es dauerte nicht lange und die Emotion veränderte sich tatsächlich, wurde ruhiger, wie ein aufbrausender Tsunami, der sich in eine sanfte Wellenlandschaft wandelte. Es geschah mir sogar sehr häufig, dass eine vormals negative Erregung sich in eine positive veränderte und somit anders in meinen Zellen abgespeichert wurde. Wenn mein Körper dabei zitterte oder gar die Tränen hemmungslos über meine Wangen schossen, war ich mir sicher, eine noch heilsamere Wirkung auf die emotionale Reinigung meines Körpers erreichen zu können.

 

Durch eine solche Vorgehensweise wurde ich selbst immer ruhiger. Immer seltener warfen prekäre Situationen mich aus der Bahn, die mich vor wenigen Jahren noch in die Verzweiflung getrieben hatten.

Immer dann, wenn wir im Inneren heftig bewegt werden, gibt es einen Grund dafür. Oft einen tieferliegenden. Dieser sollte Aufforderung genug sein, um genauer hinzuschauen. Allein aus diesem Blickwinkel heraus, kann eine negative Emotion bereits in etwas Positives umgewandelt und anders verknüpft werden. Sie wird zu einem Helfer, um tiefer in das Innerste, das Unterbewusstsein, zu blicken. Sich zu erinnern und zu erkennen. So kann eine negative Emotion ebenso zu einem Geschenk werden, wenn wir bereit sind, die Herausforderung annehmen, nach ihrem Ursprung zu graben und somit mehr Freiheit und Wissen über uns selbst erlangen.

 

 

Körpersignale - Dein Körper spricht mit dir

Auch den Körper betrachtete ich nun als ein feines Instrument, das uns ständig Signale vermittelte, die es nur richtig zu lesen galt. Als ein deutliches Beispiel hierfür begriff ich die Schmerzen, die ich stets beim Vaginalverkehr wahrgenommen hatte und früher dachte, eine körperliche Anomalie würde mir das Leben schwer machen. Dabei war es meine Vagina selbst, die mir eindeutige Hinweise gab. Als wollte sie mit mir sprechen, mir von ihrem Leid erzählen.

Dabei wollte ich meinem Körper nie zuhören, um ihn zu verstehen. Empfand ihn sogar als lästig, hässlich und missraten. Somit wurden die Schmerzen immer quälender, rangen noch mehr nach meiner Aufmerksamkeit.

Auch meine ständigen Kopfschmerzen erkannte ich mittlerweile als ein solches körperliches Signal, als einen Hinweis für mich ganz persönlich, dem ich plötzlich gewillt war nachzugehen. Denn auf einmal sah ich solche spürbaren Zeichen tatsächlich als ein Geschenk. Eine merkwürdige Sichtweise, die mir früher fremd war. War ich damals bloß froh gewesen, die als störend empfundenen Körpersignale endlich loszuwerden oder soweit zu unterdrücken, dass ich ganz taub wurde.

Dennoch wollten sie mich auf etwas hinweisen, drängten an die Oberfläche und wurden immer stärker, weil ich krampfhaft nicht hinsehen wollte und weiterhin, so gut es mir möglich war, alles zu ignorieren.

 

Erst als ich mir erlaubte zu weinen, verschwanden die Migräneanfälle fast wie von selbst. Hier und da hatte ich immer noch welche. Sie waren mir ein eindeutiges Signal und heute kann ich hinhorchen und meist erkennen, warum sie gerade auftreten.

Viele Jahre lang hatte ich meine Tränen krampfhaft unten gehalten. Bereits als Kind, als mir nach angetanem Leid und einem tiefen Vertrauensbruch nur nach Weinen zumute war, schluckte ich die Tränen herunter. Die Emotion ballte sich in mir, verursachte den Kopfschmerz, weil ich sie einfach nicht rausließ. Im gestandenen Alter von 33 Jahren weinte ich zum ersten Mal nur aus dem Grund heraus, weil ich es wollte. Weil ich begriff, dass ich es nicht länger krampfhaft festzuhalten brauchte.

All die Zeit zuvor hatte ich tatsächlich geglaubt, wenn ich weinen würde, hätte ich garantiert am Abend Kopfschmerzen. Da ich sowieso schon von dieser Problematik geplagt war, wollte ich natürlich darauf verzichten. Wenn ich dann doch einmal geweint hatte, weil ich es einfach nicht mehr zurückhalten konnte, stellten die erwarteten Kopfschmerzen sich pünktlich am Abend ein. Also schluckte ich die Trauer herunter, bis es irgendwann nicht mehr so weitergehen konnte.

Als ich schließlich die wahren Zusammenhänge verstanden hatte, tauchte ich in eine Periode des Weinens ein. Täglich schossen mir die Tränen in die Augen, manchmal aus scheinbar banalen Gründen und ich ließ es einfach geschehen. Ich genoss es sogar und lachte teilweise Freudentränen, weil es dermaßen gut tat, den alten Ballast rauszuschmeißen.

Die Tränen reinigten mich und heute gestatte ich mir, wann immer ich Lust dazu habe, herzhaft zu heulen, ob ich glaube, es ist gerade angebracht oder nicht. Dabei entdeckte ich eine neue Seite an mir. Eine Seite, die mir früher peinlich gewesen wäre, wollte ich doch stets zu den taffen Mädels gehören. Aber es tat gut, sich auch eine gewisse Weichheit zuzugestehen und beides in sich zu vereinen.

Wenn der erste Schritt einmal getan ist und die vormals unliebsamen Emotionen wahrhaft gelebt werden, können sich Welten in einem bewegen. Einmal damit angefangen, kann wahre Veränderung geschehen. Dabei ist es wichtig, sich selbst nicht so ernst zu nehmen und zu sehr an dem eigenen Charakter zu zweifeln. Wir dürfen uns erlauben, auch mal wütend oder traurig zu sein. Auch wenn es vielleicht gerade unerklärlich auf uns wirkt. Es muss nicht alles perfekt sein. Und Wut und Trauer müssen nicht unbedingt negativ behaftet sein. Was raus muss, darf raus – so sollte unsere neue Devise lauten. Das alte Maskenspiel findet sein Ende.

 

Natürlich kann es schwer fallen, vor anderen Menschen Emotionen zu zeigen. Tragen doch viele selbst ihre Masken vor sich her und trauen sich nicht, sie selbst zu sein. Ich bin auch eine Schülerin und übe mich jeden Tag darin, mein wahres Ich zu leben.

 

Am besten fangen wir bei uns selbst an. Sei zuerst ehrlich zu dir selbst und du wirst sehen, dass du immer selbstsicherer auch vor deinem Partner, deinem Nachbar oder der Arbeitskollegin wirst. Vielleicht begreifst du dich sogar als ein Beispiel für andere und animierst sie dadurch, mehr zu sich selbst zu stehen. Vielleicht können wir dann gemeinsam weinen, statt schockierte Blicke untereinander zu ernten. Wenn du dich jedoch plötzlich unwohl fühlen solltest, darfst du dir selbst die Freiheit schenken, dich aus prekären Situationen herauszuziehen, einen verlassenen Raum aufzusuchen, um dir dann Zeit für dich und deine lebendigen Emotionen zu schenken. Es ist nicht zwingend erforderlich vor anderen zu weinen. Wir können uns immer noch zurückziehen.

 

Zu Beginn des Artikels schrieb ich, es ist nicht nötig, die Emotionen komplett noch einmal zu durchleben. Damit wollte ich sagen, wir sollten darin nicht stecken bleiben. Natürlich darf es Tage geben, in denen wir nicht auf der Höhe sind und uns miserabel fühlen. Das ist völlig in Ordnung! Aber gerade den alten, sehr belastenden Gefühlen aus längt vergangenen Kindheitstagen sollten wir nicht länger als nötig Macht über uns geben, damit sie weiterhin Neurosen produzieren. Sie dürfen - sollen sogar - gefühlt werden, aber dann kann ich ihnen auch Adieu sagen.

 

Alt ist alt und jetzt ist jetzt. Jetzt bin ich eine erwachsene Frau und kein kleines Kind mehr. Ich möchte emotional im Hier und Jetzt ankommen, als gereifter Mensch und nicht gefühlstechnisch in meiner Kindheit stecken bleiben.

 

Das gelingt mir nur, wenn ich bereit bin, Vergangenes loszulassen. Zu sagen, es war so wie es war. Es war nicht alles gut. Sogar ziemlich viel war ziemlich kacke. Aber mein restliches Leben lass ich mir davon nicht versauen. Ich erlaube mir, glücklich zu sein.